Ist das Kunst oder kann das weg?
Letzte Woche musste ich für die Firma, für die ich arbeite, eine Kunstausstellung organisieren. Bei den Künstlern handelte es sich um Studienabgänger, die von ihrer Fakultät als die kreativsten ihres Jahrgangs ausgesucht worden waren. Ich hatte zugesagt, im Rahmen unserer Veranstaltung rund um das Thema Kreativität, auszustellen, was sie mir bringen würden – ungesehen.
Die Kunst, die mir die frisch diplomierten Künstler/innen brachten, war alles andere als gefällig. Sie war auch nicht schnell mal an die Wand zu hängen. Ich musste ein Handwerkerteam für einen ganzen Tag buchen, um Neonschriftzüge aus unzusammenhängenden Wörtern zu installieren, Drucke von alten Nummernschildern mit Schnüren von der Decke zu hängen (die Künstlerin erlaubte nicht, dass wir sie mit Reißzwecken durchlöcherten), und Ölgemälde, auf denen nichts wie Abfall zu sehen war, mit behandschuhten Händen auf Staffeleien zu befestigen.
Die Handwerker und einige meiner Kolleg/innen, die ihnen zuschauten, schüttelten die Köpfe: „Das soll Kunst sein?“
Ich lud die jungen Künstler ein, auf der Veranstaltung das Mikrophon zu nehmen, um den Besuchern die Gedanken hinter ihren Werken zu erläutern. Sie waren furchtbar nervös, aber gleichzeitig leidenschaftlich bei der Sache. Sie gestikulierten wild und standen mit leuchtenden Augen und Schweiß auf der Stirn hinter ihren Botschaften. Das Publikum war begeistert.
Man sah sich plötzlich selbst da stehen und erklären, was man sich bei einer bestimmten Aktion gedacht hat. Schließlich ist jeder schon mal mit seinen ureigenen Gedanken auf die Menschheit los – sei es in einer Ansprache, der Präsentation einer Idee, einem Kunstwerk, einem persönlichen Facebook- oder Instagram-Post oder einem selbstgekochten Essen, bei dem man, einer plötzlichen Eingebung folgend, das Rezept in etwas Überraschendes verwandelt hat. So öffnet sich genau das, was am Verletzlichsten ist – das uns Eigene, das wir manchmal selbst nicht greifen können.
Natürlich sah ich mich selbst da stehen mit meinem vor kurzem veröffentlichten Roman.
Ich habe lernen müssen, über meine Ideen zu diskutieren und Kritik anzunehmen, die mich in meiner Entwicklung als Autorin weiterbringt. Ich habe aber auch Kritik gehört, die mich nicht weitergebracht hat, weil ich sie nicht verstanden habe. Zum Beispiel: „Das macht man heutzutage so oder so nicht mehr“, „Das ist so aber nicht üblich in dieser Art von Roman“ … Zugegeben, ich hatte mich nicht damit beschäftigt, was gerade in der Belletristik bzw. in dieser Art von Roman „üblich“ ist. Ich habe einfach meinen Roman geschrieben.
Eines habe ich zum Glück nie gehört: „Das Buch erinnert mich an dieses und jenes andere Buch“, oder „so etwas Ähnliches hat doch schon XY geschrieben“. Also denke ich mir: alles gut. Die Geschichte musste raus, denn es gibt sie noch nicht. Es gibt noch nicht mal diese Art von Geschichte, und üblich ist sie schon gar nicht.
Auf der Veranstaltung meiner Firma zum Thema Kreativität hielt dann auch ich eine kurze Rede, die zu diesem Punkt führte: Wenn ein Werk einen Diskurs anregt, Widerstand auslöst und das Publikum es beim besten Willen nicht einzuordnen vermag, dann sind dies eindeutige Zeichen dafür, dass es gelungen ist, ein Original zu schaffen.
Vielen Dank, Oscar Wilde, für den passenden Spruch dazu.