Können wir reden?

Wenn Du glaubst, erleuchtet zu sein, dann verbringe eine Woche mit deiner Familie.
— Ram Dass

Diese Weisheit, die momentan wieder die Runde macht, steht nicht gerade für große Vorfreude auf das Weihnachtsfest mit den Lieben, sondern eher für die immer gleiche Erfahrung: Nirgendwo werden wir so schnurstracks aus den Höhen unserer Selbstverwirklichung auf den Boden geholt, wie innerhalb unserer Familie. Das liegt wohl daran, dass gerade die Familie ein festgefahrenes Bild von uns hat. Es besteht kein Ineteresse daran, dass wir uns von diesem Bild weg entwickeln und die allgemeine Ordnung gefährden.


In meinem Roman „Nachklang“ finden sich zahlreiche Beispiele der Unfähigkeit von Familienmitgliedern, miteinander zu reden. Speziell im Arbeitsumfeld geht es oft um das Gewinnen eines Machtgerangels. Dieses Scheitern an der Kommunikation kann in Familienbetrieben zur Hölle werden. Eine Hölle, die ins Privatleben übergreift.

Die junge Tina war viel zu beschäftigt damit, sich als Botschafterin der Kundenseite zu positionieren, um zu erspüren, dass die Schmidt-Brüder beide nur darauf warteten, jemandem am Tisch mit größtmöglichem Show-Effekt über den Mund zu fahren.
— Nachklang

Mein Lieblings-Essay über das „Miteinander-Reden“ stammt aus Erich Fromms Buch „Haben und Sein“, in dem er diese beiden Existenzweisen beschreibt und seine Hoffnung ausdrückt, dass früher oder später das Sein die Überhand über das Haben gewinnen wird. Im Falle der Kommunikation sieht das Haben so aus: „Keiner denkt daran, seine Meinung zu ändern oder erwartet, dass der Gegner dies tut. Sie fürchten sich davor, von ihrer Meinung zu lassen, da diese zu ihren Besitztümern zählt …“ 

Dagegen verhält sich nach Erich Fromm der „Seinsmensch“ so:

Ein solcher Mensch vergisst sich selbst, sein Wissen, seine Position; sein Ich steht ihm nicht im Wege; und aus genau diesem Grund kann er sich voll auf den andern und dessen Ideen einstellen. Er gebiert neue Ideen, weil er nichts festzuhalten trachtet... Seine Lebendigkeit ist ansteckend und der andere kann dadurch häufig seine Egozentrik überwinden.
— Erich Fromm

Ich wünsche Euch eine schöne Woche in Vorfreude auf ein lebendiges Familienfest 😉

Previous
Previous

Vergeigte Zeit

Next
Next

Ist das Kunst oder kann das weg?