Gold gegen den Schmerz

Können Erfolg und Geldsegen seelischen Schmerz lindern? Im nächsten Kapitel meiner Geschichte um meine Hündin Maggie und ihre alte innere Weisheit rücken wir ihren wunden Knochen mit Goldkugeln zuleibe, und unserem eigenen Leid mit allerlei Glamour.

Harte Arbeit führt zu Reichtum, jeder Wohlstand ist wohlverdient und die jungen Leute sind einfach nicht so tough und deshalb nicht so erfolgreich. Das zumindest ist die Baby-Boomer-Logik, in der alles - Zeit, Beziehungen, Energie etc. - in Geld gezählt wird. Wenn man aber genau hinschaut, dann hat nicht die Härte der Arbeit, sondern die Gunst der Stunde in den 80ern und 90ern mehr Menschen denn je in die Spitze der Einkommenspyramide katapultiert. Am anderen Ende des enormen Wirtschaftswachstums wuchsen die Probleme und die Müllberge. Sie wurden den Kindern hinterlassen. Anstatt Werte anzuhäufen, müssen wir Schäden begrenzen. Vielfach verstehen sich die beiden Generationen leider nicht. Darin liegt ein großer Schmerz aber auch ein Stück Hoffnung.

Zurück ins Jahr 2003:

Es war immer eine große Versuchung für mich, zu glauben, dass die Zeit, die mein Vater im Gefängnis verbrachte, eher die Strafe für das Verlassen meiner Mutter war, als für seine Steuerhinterziehung. Aber leider macht das keinen Sinn, und wenn ich etwas gründlich gelernt habe in meiner Laufbahn als Yogi, dann ist das der Realitäts-Check. Karma sorgt nicht für religiöse Buße, sondern für logische Gleichungen. Mein Vatter hatte Fehler gemacht und zu offen mit seinen Steuergewinnen geprahlt. Die zuständigen Spürhunde hatten Wind davon bekommen und ihre Nasen tief in sein Geschäfts- und Privatleben gegraben. Dort fanden sich viele kleine und einige große Strategien, um verdientes Geld vor dem Zugriff des Staates zu schützen.

In seinen über dreißig Jahren als Mann meiner Mutter hatte mein Vater allerdings auch eine ganze Menge richtig gemacht. Zusammensein, Freundschaften, Reisen, Musik, Kinder und Hunde, all das hatten wir als Familie gemeinsam gefeiert und gepflegt. Der Wurm, der sich über die Jahre eingeschlichen hatte, war eine Idee schwächer auf der Brust als das, was uns verband. Ja, ich verabscheute das smarte Geldanhäufen meines Vaters, seine Egozentrik, seine Tiefenmanipulation, seinen Chauvinismus, Kapitalismus und so manches mehr. Aber bis auf die vergangenen zwei Jahre hatte es in meiner Geschichte mit ihm nie einen Moment gegeben, in dem ich daran gezweifelt hätte, dass er mich aus dem Schlamassel ziehen würde, sollte ich mal nicht mehr weiterwissen. Liebe ist eine Kraft mit starker Hebelwirkung in der Mechanik des Karmas.

Die einhundertzwanzig Tage nach seiner Verhaftung waren angefüllt mit dem Horror und dem Trost juristischer Worthülsen, Seiten über Seiten mit Anklageschriften und Zeugenaussagen, die durch meine Gedankengänge hallten wie die Türen eines blechernen Aktenschranks. Oder einer Gefängnistür. Eisern versachlichten sie eine nicht zu fassende Begebenheit: mein Vater hinter Gittern.

Währenddessen versuchten Staatsanwälte und Fahnder hinter unsere Familiendynamik zu blicken. Das größte Rätsel für sie war meine Mutter. Die zuständige Staatsanwältin meinte es gut und wollte ihr eine Möglichkeit anbieten, Rache zu nehmen an dem Mann, der sie betrogen hatte. Meine Mutter lehnte dankend ab und nahm ihr Recht an, sich aus allem rauszuhalten. Mein Bruder und ich kämpften geschlossen an der Front, um zumindest diejenigen Vorwürfe, die nicht zutrafen, zu entkräften. Nach vier Monaten war unser Vater wieder auf freiem Fuß.

Für Michael und mich bahnte sich geschäftlich die Zeit unseres Lebens an.

Es ist verlockend, zu sagen, dass mein Mann und ich erfolgreich waren, weil wir hart arbeiteten. Aber es gab Zeiten, in denen wir noch härter arbeiteten, und mit allem scheiterten. Weil wir Kinder zu ernähren hatten, und weil alles besser war, als sich anstellen zu lassen, machten wir einfach immer weiter, stellten ein immer besseres Team zusammen und lernten unsere Märkte auswendig. Wie der Zufall es wollte, standen wir zu einer Zeit wachsender Auftragsströme mit dem richtigen Angebot zur Verfügung.

Die Krux war, dass Michael und ich, jeder für sich, eigentlich von ganz anderen Dingen träumten als von dem Erfolg, der uns beschert wurde. Und immer öfter wachte ich nachts schweißgebadet auf und sah die horrende Zahl unserer monatlichen Kosten vor mir. Wir hatten uns einen goldenen Käfig gebaut, der sich so leicht nicht mehr demontieren ließ.

Unser blühendes Geschäft entwickelte sich zu mehr als nur Existenzsicherheit. Es wurde zu einem Lebensstil, der uns als Heil verkauft wurde. Was waren Angstschweiß und wundgekämpfte Seelen gegen Skiurlaube in Saas Fee und ein Natursteinbadezimmer mit Whirlpool? Das Gute an all dem war, dass ich mich sicher fühlte vor manupilativen Eingriffen meines Vaters, jetzt, wo wir wieder in Verbindung standen. „Was verdient ihr denn so mit eurem Hühnerstall?“, fragte er mich bei einem seiner Anrufe aus Liechtenstein. Ich warf ihm eine Zahl hin, er brachte einen milde euphorischen Ton hervor, der Luft nach oben andeutete.

Im Jahr 2006 war ich so weit, dass ich mir ein paar neue Freiheiten erlauben konnte.

Die Kinder waren in weiterführenden Schulen und entwickelten ihr Eigenleben. Ich legte mir einen Konzertflügel zu. Maggie liebte es, wenn ich Musik machte, solange ich dabei entspannt war. Das schwarze Schimmern ihres Rückenfells wie eine Fortsetzung des Instruments, ihre langen Beine edel gelöst und ausgestreckt, loungte sie unter dem Klangkasten.  Doch anstatt wie früher meine eigenen Melodien vor mich hin zu komponieren, übte ich jetzt Beethoven und Chopin – je anspruchsvoller desto verbissener. Meine Hirnwindungen und meine Finger waren aber noch nicht so weit, um die großen Werke ihrer Bestimmung zuzuführen.

Wenn meine Hände mit den wilden Ideen der Komponisten haderten und ihnen nicht flüssig folgen wollten, wenn die Klänge abgehackt in den Raum schepperten und die Dissonanzen sich überschlugen, dann stand Maggie auf und lief zur Tür raus. Sie mochte nicht, wenn ich Ziele hatte, denn diese wurden von meinen Kellerleichen vorgegeben, die immer noch im Dunkeln tappten und nach Anerkennung suchten.

Eines Abends lagen Michael und ich in unserem neu angeschafften Whirlpool. Kinder, Hund, Hase, alle schliefen tief und fest. Wir schwenkten jeder ein Glas spanischen Rotwein und planten einen Urlaub im Süden. Ich sah uns schon am Pool liegen, weit weg vom Alltagsstress.  „Ich muss unbedingt noch ein paar Kilo loswerden“, sagte ich. „Da musst du nur wieder ein bisschen mehr laufen“, schlug mein Mann vor. „Vom Klavierspielen nimmt man halt nicht ab.“ Da hatte er Recht. Trotzdem empfand ich seinen Einwurf als übelste Kritik.

Warum konnte ich ihm nie genug sein? Warum verstand er nicht, dass ich das Klavierspielen brauchte, um seelisch nicht zu verkümmern in meinem sinnlosen Hamsterrad? Warum suchte er sich nicht eine schlankere Frau? Eine, die jeden Tag zehn Kilometer rannte so wie er? Mal sehen, ob die dann auch für ihn die Scheißarbeit und die Steuererklärung machen würde. Sollte er doch gehen und so ein oberflächliches Ding finden. „Mach‘s doch wie mein Vater und such dir was Jüngeres!“

Unser frisch renoviertes Badeparadies wurde zur brodelnden Hölle. Maggie verkroch sich unter das Klavier und kam erst am nächsten Morgen wieder hervor.

Ein paar Tage später fing ich wieder an mit ihr zu laufen. Sie drehte durch, wenn ich meine Laufschuhe anzog und überschlug sich fast. Die ersten Meter den Berg hoch quälten wir uns beide durch Schmerzen. Bei mir waren es die Muskeln, bei ihr die Gelenke. Doch irgendwann lief es wieder. Unsere Körper sehnten sich nach Sauerstoff, nach Erdanziehung und ihrem Gegenteil, nach Höhe, nach dem Gefühl, zu fliegen. Wenn wir oben zusammen im Gras lagen, schaute sich Maggie nicht mehr nach den Kühen um. Sie sprang nicht mehr auf, um mich wieder auf die Füße zu locken. Sie lag nur da, so wie ich. Irgendwann hievten wir uns beide hoch, kamen wieder ins Rotieren und vergaßen unsere Mühen. Meine Kilos schwanden wieder. Nicht, dass Michael das aufgefallen wäre.

Lauffreundinnen durch Dick und Dünn

Die Überwindung war groß, durch Wind und Wetter den Berg hochzulaufen. Anschließend waren wir beide völlig fertig aber seltsam glücklich.

Jetzt stimmten also gleich mehrere Dinge an mir: ich war eine gute Geschäftsfrau und Mutter, ich war schlank und sportlich und ich konnte meinem Flügel einen Chopin abringen. Zudem war ich eine empathische Chefin, die sich Zeit für die Sorgen ihrer Mitarbeiter nahm. Ich machte keinen Umsatzdruck, sondern pflegte die menschlichen Gewinne.  Immer noch kein Frieden. Andere Frauen rannten schneller als ich. Noch mehr waren jünger und dünner als ich. Irgendein Mitarbeiter fühlte sich immer ungerecht behandelt. Einige verschworen sich gegen mich hinter meinem Rücken und zweifelten meine Kompetenz an.

Oft musste ich tagelang verreisen und Kunden besuchen. Dann war ich keine gute Mutter. Andere Mütter verbrachten mehr Zeit im Nest. Wenn ich eine Reise absagte, weil ich im Wettstreit der Mütter um den tollsten Kindergeburtstag meinen Einsatz hatte, dann ging statt mir eine Mitarbeiterin zu den Kunden. Sie übernahm ein Stück meiner Rolle in Michaels Leben.

Alles, was ich war in der Welt, hing an anderen.

Den andern ging es nicht anders. Wir waren in Selbstzweifeln und Selbstinszenierung wie in einem Spiegelkabinett gefangen, sahen die Welt und uns selbst nur durch ein Gewirr an Vorstellungen. Alles zerfällt in Splitter, wenn alle diese Kunstwelt mit der Realität verwechseln.

Wer, wenn nicht wir selbst, kann uns beurteilen? Wer sonst kann uns bedingungslos annehmen? Wie sollen wir andere lieben, wenn wir nicht mal uns selbst so lassen können wie wir sind?

Das Jahr 2008

Unser jüngstes Kind, Lucie, wurde dreizehn Jahre alt. Mein Leben als Mutter eines Kindes im Kindesalter war angezählt. Wollte ich das letzte bisschen von Lucie‘s Kindheit erleben, dann musste ich in unserer gemeinsamen Zeit voll da sein und mein restliches Leben eine Weile so sein lassen, wie es war. Das war erst mal meine Rettung. „Wenn ich eine Wahl hätte, dann würdest du ewig zwölf bleiben“, sagte ich zu Lucie. Sie fand das lustig und befreiend, denn es klang schon ihre neue Lebensphase in dieser Vorstellung. Bis heute liebt meine Tochter Veränderung, so wie ich. Aber wir können den ewigen Wandel nur lieben, weil wir Ankerpunkte haben. Wenn ich an Lucies Pubertät zurückdenke, die mir noch graue Haare bescheren sollte, dann war Maggie immer das, was uns am meisten verband.

Im Frühjahr fuhren wir gemeinsam mit Maggie nach Frankfurt in eine Tierklinik, die auf die Akkupunktur von Hunden mit Gelenkproblemen spezialisiert war. In einem längeren Eingriff sollten kleine Goldkügelchen an Maggies Knochen und Gelenken implantiert werden, um ihre Schmerzen zu lindern.

Am Abend vor der Operation spazierten wir mit Maggie am Stadtrand entlang und ließen sie in einem kleinen Fluss baden. Maggie liebte kaltes Wasser, denn es linderte die Schmerzen an den entzündeten Stellen. Wir drehten uns zwei Tage lang nur um ihr Wohlergehen. Sie ergab sich in unsere Liebe, ihr treuer Blick wie eine Dosis Valium für unsere besorgten Gemüter. Ich hatte solche Angst um Maggie, dass ich darüber alles andere vergaß. Es gab nur noch einen Wunsch in mir, dass mein Hundekind gesund aus seiner Betäubung aufwachen würde. Es war wie eine Reinigung von unnötigen Sorgen.

Spätabends kamen wir mit einer völlig erschöpften Maggie nach Hause. Ihre langen Beine waren nicht mehr elegant um sie ausgelegt, sondern hingen kraftlos an ihr. Sie wollte nicht essen. Wir hielten kaltes Wasser unter ihre Nase, bis sie uns den Gefallen tat und ihre Zunge hineinfallen ließ. Doch hier war sie, inmitten ihres gewohnten Umfelds und unserer Routine, hier waren der Hase und der Garten und oberhalb von uns waren gerade die Kühe auf die Weiden gelassen worden.

Wir Menschen um Maggie begannen wieder unsere geschäftigen Kreise zu ziehen, und sie kannte ihre Stellung unter uns. Ihr Wille, ihren Aufgaben nachzukommen, trieb sie an. Sie nahm es wieder mit meinem Schweinehund auf und rannte vor mir her, Anstieg um Anstieg, ihre Bewegungen deutlich flüssiger als noch zwei Wochen zuvor, ihr Aufrichten nach unseren Verschnaufpausen wieder fast so dynamisch wie in ihren jungen Jahren.

Das Gold erfüllte seine Bestimmung, es linderte die Symptome von Maggies Krankheit.

Aber das Problem selbst steckte nach wie vor in ihren Gelenken. Währenddessen gaukelte wachsender Reichtum Michael und mir Sicherheit und Glück vor und verdrängte das Leid und die Sehnsüchte aus unserem Bewusstsein. Aber darunter lagen nach wie vor die wunden Knochen.

Über den großen Teich – nächsten Monat an dieser Stelle.

Hier geht es unter anderem um das brandheiße Thema Alkoholkonsum und wie er Konflikte in der Familie immer weiter anheizt.

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Teil 1 bis 5 verpasst? Hier geht’s zum Anfang.

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