Hoffnung hat schlechte Klickraten

Chaos und Tragödien haben ein um Welten besseres Google Ranking als das Gute und Schöne. Was macht das mit den Seelen unserer Kinder?

Ohne verharmlosen zu wollen, was in der Welt passiert, ist dennoch klar, dass nicht alles, was Interessantes geschieht, schrecklich ist. Was bei uns ankommt, ist aber meistens genau das, was unsere Ängste triggert. Instinktiv klicken wir rein - ein Mechanismus, mit dem unser Gehirn uns vor Gefahren schützen will. Die Medien nutzen diesen Impuls für ihre Klickraten. Es entsteht eine Informationslandschaft, die von Krisenherden und Endzeitstimmung dominiert wird. Das ist gefährlich, vor allem für die mentale Gesundheit junger Menschen. Das “Doom-Scrolling” kann ihnen alle Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft nehmen.

Im letzten Sommer hab ich unmittelbar erlebt, wie die Medien sich auf desaströse Szenarien stürzen und nach Klickwahrscheinlichkeit aussieben, was es in die Schlagzeilen schafft und was nicht.

Waldbrände am Rand der Stadt, die Menschen und ihre Häuser bedrohen, sind in der Gegend, in der ich lebe, leider normal. Schon in meinem ersten Sommer, nachdem meine Familie und ich vom Süden Deutschlands in den Süden British Columbias gezogen waren, erfuhr ich, dass die Wälder um Kelowna ein brandheißes Thema sind.

Zehn Jahre zuvor, im Jahr 2003, hatte es ein großes Feuer im Stadtgebiet gegeben. 239 Häuser gingen in Flammen auf. Diese Tragödie sitzt seither tief in den Herzen und wann immer am Horizont ein Feuer auftaucht, beginnt das Zittern. 

Gleich nach meiner Ankunft hier trat ich einen Job im Immobilienmarketing an. Dort lernte ich, dass dieses Zittern für so manchen Geschäftsmenschen eine praktische Sache ist. Ein Feuer auf der Westseite der Stadt brach aus. In unserem ausgedehnten Tal mit dem großen See in der Mitte konnte man es von allen Seiten sehen. “Jetzt musst du ein Online-Banner schalten - nie sind die Klickraten besser”, erklärte mir der Verkaufschef. Das lokale Nachrichtenportal gab stündliche Live-Updates und die ganze Stadt war virtuell an der Feuerlinie mit dabei. 

Noch lange nachdem der Brand unter Kontrolle war und alle Menschen wie Häuser unversehrt daraus hervorgegangen waren, bekam unser Banner zehnmal so viele Klicks wie ohne die Angstkulisse. Man kann sich nur vorstellen, wie viele Marketingleute der gleichen Schläue folgten wie ich, wie sich ihre Werbegelder zigfach effizienter als sonst in Business verwandelten und der Umsatz der Medienplattform nach oben ausschlug. 

Vor diesem Hintergrund gibt man natürlich möglichst lange keine Entwarnung oder erwähnt, dass das Stück Wald, das es erwischt hat, alt und krank war, womöglich auch vom Borkenkäfer kaputtgefressen. Die Forstleute hier betrachten ein solches Feuer als Reinigung der Natur, daher lässt man den Wald, sofern dies keine Häuser und Menschen bedroht, manchmal einfach brennen. 

Viele Nadelbäume sind auf Feuer angewiesen, um ihre Konkurrenz auszuschalten, trockene Gräser und Sträucher, die ihnen die Nahrung aus dem Boden abluchsen, und den Platz einnehmen, den sie für ihre Keimlinge brauchen. Diese Nadelbaumarten haben Zapfen, die sich nur öffnen und ihre Samen freigeben, wenn sie der Hitze von Flammen ausgesetzt sind. Die Asche der verbrannten, kranken Bäume reichert nach dem Feuer den Boden mit Nährstoffen an und stellt sie den jungen Bäumen zur Verfügung. All dies geschieht aber nur, wenn der Brand nicht zu heiß wird, wie es manchmal in überzüchteten Monokulturen passiert. 

Natürlich muss man dazusagen, dass der Käferbefall, wie auch die Häufigkeit der Feuer eine Folge des Klimawandels und gefräßiger Forstwirtschaft sind, also menschengemacht. Doch es ist faszinierend, wie sich die Natur in ihren Erneuerungszyklen an ihre brandgefährdete Umwelt angepasst hat. Abseits von der Klimaerwärmung hat es diese feuerabhängigen Zyklen schon immer gegeben. Die indigene Bevölkerung hat in früheren Zeiten sogar Brände gelegt, um den Wald gesund zu erhalten. 

Zum Glück für die Newsplattformen und die Wirtschaftstreibenden sind die Medien nicht dafür zuständig, Zusammenhänge so darzustellen, dass man sie versteht. Das würde uns ja keine Klickraten bringen. Es liest sich alles so schwer und lässt sich nicht in wirksame Rhetorik verwandeln. Wenn wir an einer Schnur schlimme Nachrichten aus dem Netzt saugen, dann sind wir dem “Doom-Scrolling” verfallen, mit dem sich unser Gehirn gegen Gefahren wappnen will.

Lösungen, Schritte der Vernunft und Prävention kriegen keine Klicks. Sie haben weniger Unterhaltungswert und sind zu komplex, um einfach drüber zu scrollen und ein paar Reize mitzunehmen. Dass sie deshalb so spärlich veröffentlicht werden ist ein rein wirtschatlicher Mechanismus. Junge Menschen werden so psychisch krank gemacht, und wir nehmen das in Kauf.

Was haben wir menschlich davon, wenn wir Aussichtslosigkeit kommunizieren? Wir können dabei doch nur verlieren, und zwar Kraft, Gesundheit und Menschenleben. Was ein gigantisches Opfer dafür, dass wir im Kampf um Klickraten die Suchmaschinen immer reicher machen und die allgemeine Sensationslust immer weiter schüren.

Mit der klick-besessenen Berichterstattung verbreiten sich Depression und Resignation, wo die Welt Taten braucht. 

Zu all dem kommt die Handysucht. Wie wollen wir unsere Kinder vor dem Chaos der Welt schützen, wenn wir ihnen den permanenten Zugang dazu in die Hand drücken und ihnen das Loslassen von diesem verflixten Gerät unmöglich machen? Entsteht das Chaos in der Welt womöglich zum Teil in diesem düsteren Tunnel namens Phone, der jeden Zusammenhang in unbegreifliche, furchterregende Mikrohappen zerstückelt, ohne einen Sinn, eine Ursache oder eine mögliche Lösung dazu zu liefern? 

Ein befreundeter Lehrer - Klasse 7 bis 9 - hat mir neulich erzählt, dass in seiner Schule endlich durchgesetzt wurde, dass die Schüler vor jeder Unterrichtseinheit das Handy abgeben müssen. Der anschließende Protest kam nicht von den Schülern, sondern von den Eltern, die sich beschwerten, dass ihre Kinder 45 Minuten lang nicht mehr auf ihre Nachrichten antworteten.

Zurück zum Brandgeschehen. Im Sommer 2023 waren meine Familie und ich von den Feuern, die um unsere Stadt herum so regelmäßig brennen, unmittelbar betroffen. Uns gehört ein etwa vier Quadratkilometer großes Stück Hügelland, das zu 80% bewaldet ist. Wir betreiben es als Park mit einem Wegenetz, auf dem sich alle, die rundherum wohnen, erholen und austoben können. Angeführt von Forstexperten haben wir in den letzten Jahren auf der gesamten Fläche Feuerprävention betrieben. 

In der Nacht, als das Feuer in einem historischen Flug vom Wind über den See getragen wurde, landete es knapp unterhalb von diesem Hügelrücken, entwickelte dort eine enorme Hitze und brannte dann in das von uns bearbeitete Gebiet. Dort fand es so gut wie kein Futter, da wir altes, marodes Holz vom Boden hatten klauben lassen. Kranke Bäume waren herausgeknippst worden und trockene Äste von gesunden Bäumen entfernt. 

Ausgerechnet Donald Trump hat vor Jahren, als in Kalifornien die Waldbrände wüteten, mal einen Versuch gestartet, dieses “Waldaufräumen” zu erklären - das Zitat ist so gut es geht übersetzt:

“Ich habe den Präsidenten von Finnland getroffen. Sie sind eine Waldnation und sie nehmen sich viel Zeit zum Fegen, Säubern und solche Dinge. Und sie haben kein Problem, und wenn, dann ist es ein kleines Problem.”

Ich bin mit Sicherheit kein Trump-Fan, aber da hat er mal die Wahrheit gesprochen. 

Unsere Aufräumaktionen jedenfalls haben dafür gesorgt, dass unser Wald gesund war, und der Waldbrand mehr ein Grasfeuer blieb, das sich am Boden entlang in gebremstem Tempo bewegte. Es brannte mit gezähmter Hitze und hat so das Ökosystem nicht zerstört. Das Feuer hat vielmehr genau das getan, was die Natur mit Feuer bezweckt. In den nächsten Jahren wird sich der Wald erneuern, denn junge Bäume haben jetzt bessere Chancen. Mit den Maßnahmen wurde zudem verhindert, dass die Flammen auf die Häuser zu rasten und diese verschlangen. 

Während unser gesamtes Gebiet evakuiert war und die tapferen Feuerwehrleute den Brand löschten, kam das nationale Fernsehen zu Besuch und interviewte einige der geflohenen Bewohner:innen. Natürlich äußerte jede und jeder das Entsetzen darüber, wie nah das Feuer an die Häuser gekommen war, wie plötzlich man fliehen musste, und wie erschreckend die Tatsache ist, dass diese Situation in ganz Kanada überhand nimmt.

Alle Interviewten lobten aber auch die Präventionsmaßnahmen und warben dafür, doch an breiterer Front in ganz British Columbia dieses Vorgehen zu kultivieren, damit der Wald durch die Feuer gesünder werden kann, anstatt in Wüstengebiete verwandelt zu werden. Aber keines der positiven Zitate schaffte es in die Nachrichten. Allein das Desaster wurde landesweit ausgestrahlt. Man kann sich vorstellen, wie die Werbegelder dabei flossen. 

Es mag eine schockierende Konklusion sein, aber es ist leider wahr:

Die Medien treiben junge Menschen in die Verzweiflung.

Über unsere Familienstiftung für die mentale Gesundheit junger Menschen halte in unserer Gegend den Kontakt zu Einrichtungen, die junge Leute auffangen, wenn sie unter Überforderung, Angststörungen und Depressionen leiden. Die Anzahl ist nicht mehr zu bewältigen. Ein  Riesenmangel an Fachärzten, Therapeuten und ausgebildetem Pflegepersonal macht es schier unmöglich, dieser Pandemie zu begegnen. 

Weder digitale Medien noch unsere Geräte sind wieder abschaffbar. Wir müssen uns also überlegen, ob wir die Gestaltung dessen, was bei unserer Jugend stündlich und minütlich ankommt, wirklich denjenigen überlassen wollen, die mit Angst und herunter-gedummten Schreckimpulsen Geld verdienen. Wir brauchen unsere Kinder noch, und sie werden die Energie brauchen, die mit der Einsicht kommt, dass man durch ein informiertes Angreifen von Problemen Veränderung vorantreiben kann. 

Keine Lage der Welt ist aussichtslos, auch diese nicht. Aber es braucht Verstand und Verantwortungsgefühl von mehreren Seiten, um sie zu ändern.  




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